Brinkers Brief vom 28. März 2025

Liebe Freunde,

unsere Gesellschaft ist von einem tiefgreifenden Wandel geprägt, der sich auch in der Bedeutung und Präsenz christlicher Symbole und Werte widerspiegelt. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Osterfestes, das als zentrales Ereignis im christlichen Kalender tiefe spirituelle Bedeutung besitzt, jedoch zunehmend an gesellschaftlicher Relevanz verliert.

Für die Kirchen ist Ostern natürlich nach wie vor das höchste Fest des Jahres, auch wenn es hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Bedeutung deutlich hinter Weihnachten rangiert. Der große Publizist Johannes Gross hat das einmal in seiner unnachahmlichen Art einleuchtend begründet: „Weihnachten ist nicht das vornehmste Fest der Christenheit, sondern Ostern. Geboren werden konnte noch jeder, auferstehen aber nicht.“

In vielen Kirchen finden besondere Gottesdienste statt, die die Passion Christi und seine Auferstehung thematisieren. Die Osternacht, in der die Auferstehung gefeiert wird, ist oft von einer festlichen Atmosphäre geprägt, in der Lieder gesungen, Kerzen entzündet und das Licht der Auferstehung symbolisch weitergegeben wird. Ich las einmal von einem Pfarrer, der von Karfreitag bis Ostersonntag die Fenster seiner Kirche mit dunklen Tüchern verhängen ließ, um diese dann im Sonntagsgottesdienst, beim Halleluja, herunterreißen und das helle Tageslicht schlagartig in die Kirche strömen zu lassen, um die Auferstehung zu symbolisieren. Für die Besucher muss das enorm eindrucksvoll gewesen sein.

Auf der anderen Seite erleben wir eine fortschreitende Säkularisierung westlicher Gesellschaften. Seit der Aufklärung wird rationales Denken und wissenschaftliche Forschung stark betont. In der christlichen Sicht ergänzen sich Glaube und Vernunft jedoch seit jeher, um die Wahrheit im umfassenden Sinn zu erschließen. Ein tieferes, ganzheitliches Verständnis von Wissenschaft schließt religiöse Perspektiven nicht aus, wie viele mittelosteuropäische Länder, aber auch Italien oder die USA zeigen, in denen der christliche Glaube trotz wissenschaftlicher Prägung weiterhin fest im gesellschaftlichen Leben verankert ist. Anders in Deutschland. Hier zeigt die Mitgliederentwicklung der großen Kirchen einen klaren Abwärtstrend. Daran allerdings tragen die Kirchen eine erhebliche Mitschuld. Wer politische Agitation vor Glaubensvermittlung und Seelsorge stellt, wird irgendwann nur noch als politische Gruppierung wahrgenommen und verliert diejenigen, die ihren Glauben praktizieren und nicht politisch aktiv sein wollen oder die von zeitgeistigen politischen Botschaften abgestoßen werden.

Das Osterfest, das die Auferstehung Jesu Christi feiert, ist ein Paradebeispiel für diesen religiösen Wandel der Gesellschaft. Während es früher ein zentrales Ereignis war, das ganze Gemeinden zusammenschloss, von der Fastenzeit über den Palmsonntag und die Karwoche bis hin zur Osterliturgie, wird es heute von vielen Menschen primär als verlängertes Wochenende wahrgenommen. Kirchliche Rituale wie die Osternacht oder der Besuch des Ostergottesdienstes verlieren an Bedeutung, während Bräuche wie Ostereiersuchen oder Osterurlaube in den Vordergrund rücken. Diese Verschiebung zeigt, wie religiöse Praxis in weiten Teilen durch säkulare Deutungen überlagert oder verdrängt wird.

Das Osterfest trägt seit jeher eine doppelte Symbolkraft: Im Zentrum steht die Auferstehung Christi als Kern des christlichen Glaubens. Zugleich fällt das Fest in eine Zeit, in der sich auch die Natur erneuert – ein Bild, das die österliche Hoffnung auf neues Leben zusätzlich unterstreicht. Man kann es sich heute, in Zeiten von Zentralheizung, Elektrizität und Netflix kaum noch vorstellen, welche Erleichterung es für die Menschen früherer Zeiten in ihren engen Städten und dunklen, kalten Häusern bedeutet haben muss, wenn der Frühling endlich wieder Licht, Wärme und neues Leben in der Natur brachte.

Die vielleicht eindrücklichste Darstellung dessen, was Ostern für die Menschen auch jenseits theologischer Reflexion bedeutete, stammt wahrscheinlich von Johann Wolfgang von Goethe, und weil sein „Osterspaziergang“ aus dem „Faust“ so schön ist, soll er hier auch in voller Länge zitiert werden:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche,

Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

Im Tale grünet Hoffnungs-Glück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,

Zog sich in rauhe Berge zurück.

Von dort her sendet er, fliehend, nur

Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

In Streifen über die grünende Flur;

Aber die Sonne duldet kein Weißes,

Überall regt sich Bildung und Streben,

Alles will sie mit Farben beleben;

Doch an Blumen fehlt’s im Revier,

Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurück zu sehen.

Aus dem hohlen finstern Tor

Dring ein buntes Gewimmel hervor.

Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feiern die Auferstehung des Herrn,

Denn sie sind selber auferstanden,

Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,

Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,

Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus Straßen quetschender Enge,

Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht

Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge

Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluss, in Breit‘ und Länge,

So manchen lustigen Nachen bewegt,

Und, bis zum Sinken überladen

Entfernt sich dieser letzte Kahn.

Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.

Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,

Zufrieden jauchzet gross und klein:

Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

Im Laufe der Zeit haben sich, besonders in der Frühlingszeit, viele kulturelle Bräuche wie Osterfeuer, das Färben von Eiern und das Schenken von Süßigkeiten entwickelt, die neben den religiösen Traditionen in verschiedenen Kulturen eine Rolle spielen. Wie auch beim Weihnachtsfest hat die Kommerzialisierung christliche Symbole und Werte für viele in den Hintergrund gedrängt. Das Osterfest ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Supermärkte und Einzelhändler bieten schon Wochen vor Ostern Schokoladenhasen, bunte Ostereier und Dekorationsartikel an, die wenig mit der ursprünglichen Bedeutung des Festes zu tun haben. Laut einer Studie des Handelsverbands Deutschland geben die Deutschen jährlich mehrere Milliarden Euro für Osterprodukte aus, wobei der Fokus auf Konsumgütern liegt.

Symbole wie das Osterei oder der Osterhase, die ursprünglich christliche oder vorchristliche Bedeutungen hatten – das Ei als Zeichen neuen Lebens, der Hase als Symbol der Fruchtbarkeit –, werden heute losgelöst von ihrem spirituellen Kontext vermarktet. Die religiöse Botschaft der Auferstehung wird durch eine konsumorientierte Feierkultur überlagert, die voraussetzungslos zugänglich ist und keine spirituelle Bildung erfordert. Dies führt dazu, dass das Osterfest von vielen eher als Frühjahrsfest wahrgenommen wird, obwohl es im Kern ein christliches Hochfest bleibt.

Die Pluralisierung der Gesellschaft trägt ebenfalls zum Rückgang christlicher Symbole bei. In unserer globalisierten Welt leben Menschen unterschiedlicher Religionen, Weltanschauungen und Kulturen eng miteinander verbunden. In Deutschland hat der Anteil der Menschen ohne religiöse Bindung oder mit nicht-christlichen Glaubensrichtungen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Laut dem Zensus 2011 bezeichneten sich etwa 33 Prozent der Bevölkerung als konfessionslos, eine Zahl, die seitdem weiter gestiegen ist.

Das führt dazu, dass christliche Symbole wie das Kreuz, die Kirche oder das Osterfest nicht mehr selbstverständlich als gemeinsame kulturelle Referenzpunkte gelten. Stattdessen werden neutrale oder inklusive Symbole bevorzugt, um niemanden auszuschließen. Öffentliche Räume, Schulen oder Medien vermeiden zunehmend explizit christliche Bezüge, um pluralistischen Ansprüchen gerecht zu werden. So wird Ostern in vielen Kontexten als „Frühlingsfest“ umgedeutet, was die christliche Bedeutung weiter in den Hintergrund rückt.

Das alles hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Feier des Osterfestes. Einerseits erkennen viele seine spirituelle Tiefe nicht mehr. Die Botschaft der Auferstehung, die für Christen den Sieg des Lebens über den Tod symbolisiert, wird von vielen nicht mehr verstanden. Andererseits gewinnt Ostern an Flexibilität: Es wird individuell interpretiert und gefeiert, sei es als Familienfest, Konsumfest oder Gelegenheit für Freizeitaktivitäten.

Dennoch gibt es auch Gegenbewegungen. In manchen Gemeinden und kirchlichen Kreisen wird versucht, die ursprüngliche Bedeutung des Osterfestes wieder stärker in den Fokus zu rücken. Initiativen wie ökumenische Osternachtsfeiern, moderne Gottesdienstformate oder interreligiöse Dialoge zeigen, dass das Fest weiterhin Potenzial hat, Menschen zu verbinden. Allerdings erreichen diese Ansätze oft nur eine kleine, bereits engagierte Gruppe.

Der Rückgang christlicher Symbole wie dem Osterfest wirft die Frage auf, was von den damit verbundenen Werten – Nächstenliebe, Vergebung, Hoffnung – in einer säkularen Gesellschaft bleibt. Diese Werte sind tief in der europäischen Kultur verankert, auch wenn ihre religiöse Herkunft oft nicht mehr wahrgenommen wird. Prinzipien wie Mitgefühl oder Solidarität finden sich in säkularen Kontexten wieder, etwa im Ehrenamt oder in sozialen Bewegungen. Doch ohne den religiösen Rahmen verlieren sie oft an Verbindlichkeit und Tiefe, da ihnen die metaphysische Dimension fehlt, die sie im Christentum tragen.

Der Rückgang christlicher Symbole spiegelt eine Gesellschaft im Wandel wider, die sich neuen Herausforderungen stellt. Für das Osterfest bedeutet dies eine Chance. Kirchen könnten die Botschaft der Auferstehung zeitgemäß vermitteln. Gleichzeitig müssen sie akzeptieren, dass Ostern von Vielen nicht mehr primär als christliches Fest wahrgenommen wird.

Die Zukunft christlicher Symbole und Werte wird davon abhängen, ob es gelingt, ihre zeitlose Botschaft in den Kontext einer pluralistischen und säkularen Gesellschaft zu übersetzen. Ostern könnte hierbei eine Brücke schlagen: als Fest, das spirituelle Tiefe mit kultureller Offenheit verbindet. Ob dies gelingt, wird maßgeblich davon bestimmt, wie Kirchen, Gemeinschaften und die Gesellschaft insgesamt diesen Wandel gestalten.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen – ganz gleich, was Ostern für Sie bedeutet und wie Sie es feiern – ein frohes und gesegnetes Osterwochenende!

Herzlichst, Ihre

Kristin Brinker