Liebe Freunde,
Berlins Schüler sind jetzt in den Sommerferien, ihre Schulen stehen für mehr als 40 Tage leer, und diese Zeit wird vielerorts dazu genutzt, zu renovieren, zu reparieren und zu sanieren. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, sich einmal über Schulen und insbesondere Schulgebäude Gedanken zu machen, denn als Architektin sehe ich Vieles natürlich mit anderen Augen.
Früher waren Schulgebäude, insbesondere die von Gymnasien, wahre Bildungspaläste. Schon von außen waren sie teilweise geradezu ehrfurchtgebietend, oft mächtige Sandsteinbauten mit aufwendig gestalteten und geschmückten Fassaden. Im Inneren beeindruckten sie mit breiten Fluren und imposanten Treppenhäusern, und bei der Schulaula legten die Architekten dann so richtig los: Riesige Säle mit großen Bühnen an der Stirnseite, Parkettböden, nicht selten sogar zweistöckig mit Zuschauerrängen, Kronleuchtern, aufwendig verzierten Wänden oder hölzernen Wandtäfelungen. Selbst die zu Recht vielgeschmähten Mittel – und Oberstufenzentren der 70er-Jahre überzeugen oft mit großzügigen Gängen und großen Aulas.
Solche Gebäude sind nicht einfach nur Anstalten zum Lernen. Sie sind Ausdruck des großen gesellschaftlichen Stellenwertes, den Bildung in Deutschland einmal hatte. Sie signalisieren dem Betrachter: Was hier passiert, ist wichtig! Und den Schülern sagen sie: Du bist uns, der Gesellschaft, wichtig. Wir wollen, dass du lernst, dich bildest, klüger wirst. Darin lag gleichzeitig eine Aufforderung: Wir haben euch Schülern dieses Gebäude errichtet – jetzt ist es an euch, etwas für euch daraus zu machen!
Wenn man sich dann anschaut, wie Schulen heute gebaut werden, besonders in Berlin, dann macht das schon nachdenklich: Hastig aufgestellte Modulbauten oder gar Container, in die es nicht selten sogar hineinregnet. Ohne Schmuck, ohne Charme, ohne Großzügigkeit. In Holz, Stein und Beton gegossener Pragmatismus.
Natürlich: Berlin braucht dringend mehr Schulplätze, um die immer größere Zahl von Kindern versorgen zu können (wobei man diesen Ansturm natürlich durch eine andere Migrationspolitik auch deutlich verringern könnte, aber das ist ein anderes Thema). Das Geld ist knapp und der Platz zum Bauen auch. Aber müssen neue Schulgebäude derart einfallslos gestaltet sein, mit Fertigbauteilen, niedrigen Decken, ohne Schmuck und Grandezza und ohne Aula oder einen anderen Saal für festliche Veranstaltungen wie eine Zeugnisvergabe?
Als Architektin weiß ich, dass Gebäude durch ihre Gestaltung auch immer eine Botschaft vermitteln. Und ich frage mich: Welche Botschaft senden solche Gebäude an die Schüler, was sagen sie den Kindern darüber, welchen Stellenwert sie in der Gesellschaft haben, was sagen sie über den Stellenwert, den unsere heutige Gesellschaft der Bildung von Kindern beimisst?
Ich will an dieser Stelle gar nicht in die Grundsatzdiskussion einsteigen, welche Bildungsphilosophie die richtige ist – der heute vertretene utilitaristische Ansatz, Bildung in erster Linie als Qualifizierung für das Berufsleben zu sehen? Oder aber das Humboldt’sche Bildungsideal, das Bildung als Wert an sich betrachtet, unabhängig von ihrer praktischen Verwertbarkeit? Bei beiden Philosophien hat Bildung einen Wert, wenn auch einen gänzlich unterschiedlich gelagerten. Aber können Schulen, die in Modulbauweise errichtet wurden, diesen Wert den Schülern so vermitteln, wie es die alten, ehrwürdigen Bildungsanstalten schon durch ihre Architektur tun?
Ich habe meine Zweifel, und deshalb wäre ich sehr dafür, bei allen Sparnotwendigkeiten und bei allem Bedarf, neue Schulplätze schnell zu schaffen, dass wieder mehr Augenmerk auf die Botschaft gerichtet wird, die die Gebäude vermitteln. Wir wollen doch, dass die Kinder gern zur Schule gehen, dass sie mit Begeisterung lernen und dass sie später auch gern an ihre Schulzeit zurückdenken. Und bei welchem Gebäude wird das wohl eher der Fall sein – bei einer Modulschule oder bei einem Bildungspalast?
Nicht nur in den Schulen, auch in der Politik insgesamt und bei uns im Abgeordnetenhaus kehrt mit den Sommerferien Ruhe ein. Viele Büros sind verwaist, die Gänge leiser und leerer und die Kantine hat auf kürzere Öffnungszeiten umgestellt. Es tut uns Allen sicherlich gut, jetzt ein wenig „runterzukommen“, auch mal aus Berlin rauszukommen, um neue Eindrücke zu sammeln und vor allem unsere Akkus wieder aufzuladen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen:
Haben Sie ein schönes Wochenende – und einen tollen Sommer!
Herzlichst, Ihre
Kristin Brinker