Wenn diese Köpfe das Land verlassen, droht ein Teufelskreis: Weniger Innovationen führen zu geringerem Wirtschaftswachstum, was wiederum die Abwanderung verstärkt.
Auch gesellschaftlich schwächt dieser Exodus unser Land: Denn wer geht, sind oft die Engagierten, die Leistungsbereiten, die Zukunftsträger. Hochqualifizierte Menschen tragen nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell und sozial zur Entwicklung eines Landes bei. Sie engagieren sich in Vereinen, fördern Bildung und gestalten die Zukunft. Ihr Weggang hinterlässt Lücken, die schwer zu füllen sind. Darüber hinaus entsteht ein Imageproblem: Wenn Deutschland als unattraktiv für Talente wahrgenommen wird, schreckt dies auch ausländische Fachkräfte ab, die dann gar nicht erst zu uns kommen.
Wenn Deutschland den Braindrain stoppen (und noch besser: umkehren) will, müssen der Staat und die Gesellschaft grundlegend umdenken. Zwar gibt es kein Patentrezept, aber eine Kombination aus gezielten Maßnahmen kann Deutschland wieder attraktiver für Fachkräfte machen:
Zuallererst muss Deutschland agiler werden. Überbordende Bürokratie muss abgebaut werden. Schnellere Genehmigungsverfahren, einfachere Unternehmensgründungen und mehr Investitionen in Zukunftstechnologien wie Künstliche Intelligenz, breiten Energiemix oder Biotechnologie sind entscheidend. Mit einem „Bürokratie-Abbaugesetz“ könnten Jahr für Jahr spürbar und messbar Vorschriften gestrichen werden. Deutschland braucht ein Umfeld, in dem Innovationen nicht kritisch beäugt und sogar bekämpft werden, sondern schnell umgesetzt werden können und in dem Fachkräfte das Gefühl haben, an der Spitze der Entwicklung zu stehen. Wer etwas bewegen will, darf nicht gegen Windmühlen kämpfen müssen.
Leistung muss sich wieder lohnen! Das Steuersystem muss Menschen motivieren, mehr zu leisten, zu investieren, Unternehmen zu gründen – nicht sie dafür bestrafen. Das bedeutet: Mittelstandsfreundliche Steuerreformen, niedrigere Spitzensteuersätze, ein Abbau der kalten Progression und eine echte Entlastung für Familien und Fachkräfte.
Das Bildungssystem muss wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Statt „Vermittlung von Kompetenzen“ müssen grundlegende Dinge wie Rechnen, Schreiben, Lesen gelehrt werden. Statt Gleichmacherei muss wieder das Leistungsprinzip Einzug halten, und das schließt ganz ausdrücklich ein gestaffeltes Schulsystem ein, in dem jedes Kind seiner Begabung entsprechend gefördert und gefordert wird.
In der Folge müssen Universitäten und Forschungseinrichtungen gestärkt werden, um international konkurrenzfähig zu bleiben. Stipendienprogramme für junge Talente, internationale Kooperationen und die Förderung von Spitzenforschung können Deutschland als Standort für Innovation etablieren. Weniger Staatsdirigismus, mehr Freiraum für Innovation, technologieoffene Förderprogramme statt planwirtschaftlicher Vorgaben, Gründerzentren, steuerliche Forschungserleichterungen und eine Verwaltung, die nicht verwaltet, sondern ermöglicht – das wäre ein Signal, das viele kluge Köpfe in Deutschland halten könnte. Wenn junge Menschen sehen, dass sie in Deutschland an wegweisenden Projekten arbeiten können, werden sie eher bleiben.
Schließlich muss Deutschland als Lebensraum attraktiver werden. Dazu gehören bezahlbarer Wohnraum, attraktive, saubere Städte und Natur und vor allem ein Zustand der Inneren Sicherheit, bei dem die Menschen nicht Angst haben müssen, nachts auf die Straße zu gehen oder öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Gesellschaftlich müssen wir wieder lernen, stolz auf unsere Talente zu sein. Wer hier etwas erreicht, soll nicht beargwöhnt, sondern gefeiert werden. Wir brauchen wieder ein positives Narrativ von Heimat, Aufstieg und Zugehörigkeit – für Deutsche wie Zugewanderte.
Natürlich kann man auch über gezielte Rückkehrprogramme nachdenken. Diese könnten finanzielle Unterstützung für die Rückkehr, Hilfe bei der Jobsuche oder Netzwerkplattformen für Rückkehrer umfassen. Länder wie Irland haben mit solchen Programmen Erfolg gehabt, indem sie gezielt auf ihre Diaspora eingegangen sind.
Auch Deutschland könnte Plattformen schaffen, die Auswanderer mit Arbeitgebern in Deutschland vernetzen und den Wiedereinstieg erleichtern.
Aber ohne die vorgenannten grundlegenden Änderungen und Reformen, ohne die Beseitigung der Auswanderungsgründe, werden solche Programme wenig Erfolg haben.
Deutschland könnte so ein großartiges Land sein, wenn es vernünftig regiert würde. Es könnte alles haben, was ein attraktives Land braucht: Stabilität, Wohlstand, Infrastruktur, Sicherheit, Kultur und wunderschöne Landschaften. Doch wir verspielen diese Stärken, wenn wir die Fleißigen vergraulen, die Innovativen ausbremsen, die Erfolgreichen verprellen.
Es ist Zeit, dass wir uns ehrlich machen: Wer das Land verlässt, ist nicht illoyal. Viele gehen, obwohl oder sogar weil sie dieses Land lieben, hier aber keine Luft mehr zum Atmen finden. Aufgabe der Politik, und Aufgabe von uns allen, ist es, Deutschland wieder zu einem Ort zu machen, von dem man nicht weg- sondern zu dem man zurückkommen will. Wir brauchen die Ärztin, die bleibt, weil sie in Deutschland wieder forschen kann, den Ingenieur, der heimkehrt, weil er hier wieder gestalten darf, die Gründerin, die hier und nicht woanders gründet, weil sie hier Chancen sieht.
Deutschland darf nicht das Land werden, das seine besten Köpfe verliert und es nicht einmal merkt. Es liegt in der Hand der Politik, diesen Trend zu brechen. Nicht mit Symbolpolitik sondern mit echter Veränderung. Auswanderung ist nicht gottgegeben, der Braindrain ist kein Naturgesetz. Aber es ist ein Warnsignal. Hören wir darauf. Und handeln wir.
Haben Sie, trotz allem, ein schönes Wochenende!
Herzlichst, Ihre
Kristin Brinker