Die Demonstration in Hamburg

Liebe Freunde,

in dieser Woche ereignete sich ein ungeheuerlicher Vorgang: In München gingen mehr als 1.000 Neonazis auf die Straße und forderten auf Plakaten und in Reden die Errichtung eines „Vierten Reichs“. Die bayerische Polizei sah dem Geschehen weitgehend tatenlos zu, und Politiker fanden diesen Vorgang eher nicht so dramatisch; einzig die Bundes-Innenministerin raffte sich zu der Stellungnahme auf, die Demonstration sei „schwer erträglich“. Ein weiterer Skandal ereignete sich im Vorfeld der Demo: SPD und Grüne im Bayerischen Landtag hatten ein Verbot der Neonaziorganisation gefordert, die die Demo veranstaltete, aber CSU, AfD und Freie Wähler lehnten das Verbot ab.

Wie – das haben Sie gar nicht mitbekommen? Nun, das liegt vermutlich daran, dass das ganze ein wenig anders abgelaufen ist. Die Demonstration war nämlich nicht in München, sondern in Hamburg, die Demonstranten waren keine Neonazis, sondern Muslime, und sie forderten auch kein „Viertes Reich“, sondern die Einführung des Kalifats in Deutschland. Und es waren SPD und Grüne, die nur wenige Tage vor der Versammlung das von CDU und AfD geforderte Verbot der veranstaltenden Gruppierung in der Hamburger Bürgerschaft ablehnten. Der Rest, bis hin zur windelweichen Stellungnahme von Innenministerin Faeser, stimmt allerdings.

Stellen Sie sich nur mal vor, wenn es tatsächlich so gewesen wäre, wie ich es eingangs dargestellt habe – das ganze Land wäre tagelang in kollektiver Schnappatmung versunken, eine Sondersendung in den Zwangsgebührenmedien hätte die nächste abgelöst, allüberall wären Politiker vor die Kameras getreten, um mit sorgenschwerer Miene die Gefahr des Untergangs der Demokratie zu beschwören, die mediale Hysterie hätte jene um das Potsdamer Treffen wie ein laues Lüftchen erscheinen lassen. Die Kalifatsdemo hingegen hat nicht mal ansatzweise vergleichbare Reaktionen hervorgebracht.

Nun kann man sicherlich darüber streiten, ob 1.000 verwirrte Demonstranten politische und mediale Hysterie rechtfertigen, ob die Demokratie in Deutschland tatsächlich so schwach ist, dass sie dadurch in Gefahr gerät. Ich meine, das ist nicht der Fall. Die Demokratie in Deutschland ist stabil genug, um auch derartige Dinge auszuhalten. Was mich aber ärgert, ist die krasse Ungleichgewichtung in der politischen und medialen Öffentlichkeit: Während allen Ernstes so getan wird, als wären zwei Dutzend Rentner kurz davor gewesen, den Reichstag zu stürmen und die Bundesregierung ins Verlies zu werfen, regen 1.000 junge und durchaus kampffähige Männer, die ein totalitäres System errichten wollen, kaum jemanden auf.

„Schwer erträglich“. Immerhin. Aber auch nicht mehr.

Haben Sie, trotz allem, ein schönes Wochenende!

Herzlichst, Ihre

Kristin Brinker